Von Personalstelle zu unternehmerischer Gesellschaftsverantwortung: Verwaltungsstunden von den Drogenbaronen Mexikos
Übersetzt aus dem Englischen (Narconomics)
Juli 28. 2012 | The Economist
MEXIKO hat 11 Milliardäre, der Zeitschrift Forbes zufolge. Zehn werden oft bei Benefizdinners und anderen vornehmen Veranstaltungen lächelnd fotografiert. Der Elfte, Joaquín Guzmán Loera, hat ein ziemlich unähnliches Porträtfoto. Abgebildet in einem billigen Anorak sieht man ihn fröstelnd im Regen binnen der Betonmauer eines Hochsicherheitsgefängnises. Besser bekannt unter seinem Spitznamen El Chapo („der Kleine“) ist Herr Guzmán durch die vermutete $1 Milliarde, die er als Geschäftsführer des Sinaloa-Drogenkartells verdiente, ein von Lateinamerikas erfolgreichsten Exporteuren. Seitdem er 2001 versteckt in einem Wäschewagen aus dem Gefängnis ausbrach, gibt es wenige Fotos von El Chapo.
Andere Milliardäre verachten Herrn Guzmán. Aber im Vergleich zu manch anderen Entrepreneuren auf Mexikos Verzeichnis der Reichen scheint er die amerikanische Rezession gut überstanden zu haben. Zwar mögen seine Verhältnisse in seinem Versteck in den Bergen der Sierra Madre nicht besonders üppig sein, aber sein Vermögen soll unversehrt geblieben sein, trotz der Bemühungen der Wall-Street-Imbéciles, die 2009 die mexikanische Wirtschaft in die Knie zwangen. Ausgerüstet mit wenig mehr als einem Sprachführer und ein bisschen Imodium akut wanderte Schumpeter durch die Wüste, um zu erkundigen, welche Weisheiten die mexikanischen Drogenhändler anderen Geschäften zu bieten haben.
Dank der in Amerika immer niedriger werdenden Nachfrage für Drogen waren die letzten Zeiten nicht immer einfach für die Kartelle. Zwar gibt es die (aus Herr Guzmáns Perspektive) ermunternde Nachricht, dass immer mehr amerikanische Jugendliche aus Mexiko importierten Cannabis rauchen, aber das wertvollere Produkt Kokain gerät aus der Mode. Laut der UNO habe Amerika seine üble Gewohnheit zwischen 2006 und 2012 um ein Viertel verringert, und die Anzahl von Angestellten, die durch Kokainproben an der Arbeitsstelle durchfallen, sei ebenso um zwei Drittel gefallen.
Schwindende Verkäufe in el norte sind keine Einzigartigkeit des Drogengeschäftes. 2009 purzelten mehr als ein Viertel der amerikanische Einfuhr sämtlicher gesetzlich zulässigen Waren, wovon sowohl mexikanische Autofabriken als auch Drogenlabore betroffen waren. Aber verglichen mit den legitimen Geschäften sind die Kartelle viel geschickter in der Umstellung auf neue Märkte. Achtzig Prozent des legitimen Exports gehen an die Vereinigten Staaten, nur eine kleine Veränderung zu den 90% um die Jahrhundertwende. Demgegenüber schaltete der Kokainhandel auf Europa um, wo zweimal so viel Koks gebraucht wird als Ende der 90er. Der Durchschnittsbrite kauft jetzt mehr als der Durchschnittsamerikaner, obschon von niedriger Qualität. Mexikanische Händler kommen auch in Australian voran, noch ein aussichtsreiches Land.
Die Flexibilität der Drogenindustrie ist teilweise auf ihre Freistellung von Einfuhrabgaben zurückzuführen. Legitime mexikanische Händler genießen das Recht des freien Zugangs zu den amerikanischen und kanadischen Märkten durch das Nordamerikanisches Freihandelabkommens (NAFTA). Dagegen wird Drogenschmugglern dank des Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe, die die Regelsetzung und Besteuerung ihrer Produkte untersagt, zollfreier Zugang zu allen Ländern der Welt gewährt. Lästige Ursprungsregeln, die viele mexikanische Hersteller hindern, ihre Waren in Amerika zu verkaufen, gelten dem in Mexiko verarbeiteten kolumbianischen Kokain nicht.
Zugegeben, das Verbot zwingt Rauschgifthändler dazu, ab und zu einen Tunnel zu graben, aber sie bleiben von anderen Problemen verschont. Die Liberalen in Kalifornien schlugen neulich vor, Herrn Guzmán und seine Kollegen mit bis zu $1 Milliarde pro Jahr mit Steuern zu belasten, durch die Legalisierung von Cannabis. Zum Glück für die Industrie stimmten die Konservativen für die Erhaltung eines steuerfreien Marihuanageschäftes. Behördenkram ist auch geringfügig. Obwohl in Amerika der Drogenkonsum jährlich eine Million Notaufnahmen verursacht, sehen Hersteller darin keinen Anlass, in Qualitätskontrolle zu investieren, denn die Strafe bleibt für das Einschmuggeln von sowohl purem als auch verunreinigtem Kokain dieselbe.
Seit 2007 töteten oder inhaftierten mexikanische Behörden viele der führenden Drogenentrepreneure. Im letzten Monat kündigten die Marinesoldaten die Verhaftung von Guzmáns Sohn, El Gordo („der Dicke“) genannt, an. Es stellte sich als eine Fehlmeldung heraus: der Inhaftierte war ein Autohändler namens Félix, wessen einziges Verbrechen es war, vollschlank zu sein. Solche Stümperei sieht man häufig. Wie in anderen Bereichen werden auch kompetente Behördenmitarbeiter von dem besseren Verdienst der Privatwirtschaft in Versuchung geführt. Viele Händler sind anfangs Polizisten. Die Zetasbande war früher eine Eliteeinheit der Armee.
Über das Abwerben (und Enthaupten)
Personal bleibt weiterhin ein Problem für die Kartelle, was angesichts der gewalttätigen Pensionierung von jährlich rund 10.000 Mitarbeitern keine Überraschung darstellt. Untere Arbeitsstellen werden leicht besetzt, aus dem zehnmillionenköpfigen Reservoir von ninis, Jugendliche die ni estudian ni trabajan (weder lernen, noch arbeiten). Aber die schlechte Lage mexikanischer Schulen (die schlechtesten der OECD) bedeutet, dass auch Drogenexporteure denselben Problemen wie andere Weltkonzerne gegenüberstehen: Das Anwerben hochqualifizierter Mitarbeiter. ManpowerGroup, ein Beratungsunternehmen im Bereich Personalbeschaffung, stellte fest, dass 42% der legitimen mexikanischen Firmen von Problemen bei der Stellenbesetzung berichten. Die Meisten berichten, sie müssten Einwanderer in Führungspositionen einstellen. Diese Situation gilt auch für das Drogengeschäft: Die Zetas wenden sich den ehemaligen Mitgliedern Guatemalas Kaibiles Sondereinheiten zu, um ihren wachsenden Bedarf an erfahrenen Killern zu stillen. Jedenfalls bleibt die Visumpflicht außen vor.
Die Beziehungen zur Öffentlichkeit sind ein heikles Thema für das Geschäft, das in Mexiko in den letzten 6 Jahren circa 60.000 Tote verursacht hat. Deswegen halten Kartellführer eine unternehmerische Gesellschaftsverantwortung für wichtig. Leitende Angestellte bleiben frei, zum Teil weil Leute nicht bereit sind, der Polizei einen Tipp zu geben. Angst ist ein Grund, ein zweiter liegt darin, dass die Drogenbarone ihren Gewinn gerne verteilen. Spenden an die örtliche Polizeimannschaft sind beliebt. Auffällige Philanthropie ist auch üblich. Im Bundesstaat Hidalgo errichtete eine glänzende Kapelle neulich eine Gedanktafel, die dem Geschäftsführer der Zetas, Heriberto Lazcano, für eine Spende dankt. Als dies für etwas Stirnrunzeln wegen „Drogenalmosen“ im Vatikan sorgte, entgegnete Ramón Godínez, ein mexikanischer Bischoff, dass als Maria Magdalena mit Parfüm die Füße Jesu waschte, fragte er sie nicht, wie sie dafür bezahlte. „Es gibt keinen Grund, Geld zu verbrennen, nur aufgrund seines bösen Ursprungs. Man muss es umwandeln. All Geld lässt sich umwandeln, genau so wie unsaubere Personen sich umwandeln lassen,“ so der Bischoff. Mit Gott als sein Geldwäscher, sollte die dreckigste Industrie Mexikos ihren hohen Kurs sicher halten können.